Evolution, Evolution ... EVOLUTION! Welch riesiges, unüberschaubares Thema, dem ich mich wohl mein Leben lang widmen könnte.
Inspiriert hat mich 2009 Frank Schätzings Buch „Nachrichten aus einem unbekannten Universum“. Ein großer Teil dieser Arbeiten zum Thema Evolution sind eine Hommage an dieses Buch, betitelt mit seinen Worten. Aber auch meine Reise nach El Hierro, der kleinsten und jüngsten Inselschwester La Palmas, Gespräche mit Menschen, Zeitschriften, Meeresfilme und Reportagen haben Bilder in meinen Kopf erzeugt. All diese Inspirationen kamen von selbst als Geschenke zu mir und legten mir Miss Evolutions Werkzeuge in die Hände.
Mit Schätzings Buch unterm Arm zog ich als erstes meine sogenannte Unendlich-Mappe hervor, in der sich viele unvollendete Arbeiten angesammelt haben, die ich zwar nicht wegwerfen wollte, die mir aber zum Zeitpunkt ihrer „Geburt“ nichts gesagt haben oder gar als misslungen verbucht wurden. Miss Evolution muss sich unentwegt auch mit schwierigen Entwicklungen auseinandersetzen und manchmal bleibt etwas lange liegen, bis es in seiner Form und Funktion weiterentwickelt wird. Sie nimmt sich sogar Jahrmillionen Zeit, die Dinge und das Leben so zu verändern, dass es sich in gegebene Umstände und Bewegungen einfügen und existieren kann.
Dann kamen die Bilder, die das Buch in meinen Kopf gemalt hat. Die Ideen prasselten während des Lesens nur so auf mich nieder. Mein herkömmlicher Arbeitsvorgang scheint sich umzudrehen. Es ist ein leicht befremdliches, ungewohntes Gefühl, mit einer detaillierten Zeichnung statt mit einer groben Skizze zu beginnen. Es erinnert mich an vergangene Zeiten. Diese evolutionären Wasserbilder sind in der Komposition diesmal nicht vom Einfluss des Ortes geprägt, an dem ich die Bilder ins Meer lege, sondern mit meinen inneren Bildern komponiert. Ich schaue lange auf das weiße Blatt Papier, das Meer nur vor meinem inneren Auge, finde heraus, welche Farben ich wohin setze, wo noch eine Linie und ein Punkt sein will ... Ein langsamer Vorgang, der viel Geduld von mir fordert, jene Arbeit, die ich bisher bei den Wasserbildern erst nach der „Vermalung“ der Farben durch das Wasser geleistet habe.
Erstmals betrachte ich kritisch und ausgiebig von Anbeginn des Malprozesses, wäge ab, warte auf die inneren Bilder, gewinne eine klare Vorstellung, was ich erschaffen will. Auch beim Auftragen der Farben arbeite ich auf neue Weise. Bisher habe ich am Wasser sitzend spontan, ohne nachzudenken Striche aufs Papier gesetzt. Jetzt male ich nicht nur mit den Fingern, sondern trage zudem mit dem großen Borstenpinsel wohlüberlegt Aquarellfarbe aus der Tube pastös in feinen Pünktchen auf. Ein fertiges Bild ist gemalt.
Die Prägung und Geschichte des Meeres durch die Wässerung ist nun sehr spannend, weil ich noch nicht weiß, welche Konsequenz das Verlaufen der Farbe für die langwierige Zeichenarbeit haben wird. Zerstörung? Ergänzung? Vollendung? Alles relativ! Es wird verändert sein. Verkleidet als Miss Evolution probiere ich es aus und mische dann die Karten neu ...
Weil Evolution nie zu Ende ist – sin fin –, werde ich diese Bilder nicht bis zur Vollendung ausarbeiten. Überall bleiben Stellen im Bild, die ich unter anderen Umständen noch bearbeitet hätte. Immer mehr strebe ich danach, den unvollendeten Zustand in seiner Bewegung einzufangen.
Plötzlich empfinde ich während meiner Arbeit Menschen in meiner Nähe als störend. Liegt das daran, dass ich mich mit meinen Sinnen in Zeiten bewege, in denen es den Menschen noch nicht gab? Oder daran, dass er alle Bestrebungen nach Harmonie und Gleichgewicht stört, schon seitdem er das Rad erfand? Ist jedoch nicht jede Störung auch eine evolutionäre Bewegung? Jedenfalls rottet der Mensch schneller und gründlicher Spezies aus, als Miss Evolution es je geschafft hat. Miss Evolution bewertet das Ergebnis nicht. Sie schaut, dass sie weiterkommt und die Zerstörung nutzt, um eine Anpassung an die neuen Verhältnisse zu schaffen, dementsprechendes Leben zu entwerfen. Vielleicht ist Homo sapiens ja so eine Art Eiszeit oder ein Meteorit, der einschlägt. In jedem Fall „stört“ er gewaltig und vielleicht deshalb zurzeit auch mich. – Ich frage mich, ob der Mensch es schafft, sich mit seinem ausgefeilten technischen Verstand anzupassen und zu überleben – auch wenn Mutter Erde richtig hustet? Ich glaube, dass die Technik immer ein Gegenspieler der natürlichen Evolution sein wird, wenn der Mensch sie nicht mit Intelligenz und wachsamer Bewusstheit einsetzt.
Der Mensch ist langsam in seiner Bewusstseinsentwicklung und schnell im Verändern seiner Umwelt. Ich glaube dennoch daran und hoffe, dass der Mensch eines Tages begreifen wird, dass es um Anpassung geht, um Liebe, um das Einverständnis mit allem was ist, um Respekt, Achtung und Demut, um Spiel, Freude und Wachstum ... Wer weiß, was sich Miss Evolution dabei gedacht hat, als sie die Spezies Mensch entwickelt hat. Sie hat das menschliche Ego, sein Streben nach Macht, seine Gier – all seine zerstörerischen Eigenschaften doch auch geschaffen …
Gibt es wirklich einen Plan? Oder entsteht alles nur aus einem Jetzt-Zustand heraus, einem Moment, der den nächsten Moment
„evolutioniert“? Vielleicht ist alles nur ein kreativer, ständiger Prozess? Völlig planlos, reine Entwicklung
aus dem heraus, was ist?
Innerhalb meines Malprozesses versuchte ich dem nachzuspüren, indem ich mit einem bewusst harmonisch gestalteten Bild begann.
Das Zulassen der „Zerstörung“ eines bereits vollendeten Bildes durch das Wasser des Meeres, ist mir sehr schwer
gefallen. Ich musste mir bewusst werden, dass es nur ein Wandel ist, der mir die Chance gibt, das neue Bild wieder in ein
Gleichgewicht zu bringen, neu entstandene Ansätze zu entdecken und diese wiederum in harmonische Verhältnisse zu
bewegen ... eben zu „evolutionieren“. Die Vorgehensweise meiner Wassertechnik erscheint mir ideal, um
evolutionären Bewegungen nachzuspüren. Wer kann mir mehr erzählen als das Meer, dort wo alles irdische Leben begann.
Ich suche diesmal nicht nach Antworten auf Fragen. Es ist die Entwicklung, das Wachstum, das Zulassen von Wandel, was ich versuche nachzuvollziehen und zu leben. Das Ergebnis selbst, nämlich das fertige Bild, ist nur der manifestierte Ausdruck dieses Vorgangs und beantwortet keine Fragen. Meine Bildersprache ist eine Sprache, die im Herzen berühren möchte. Ich glaube, dass sie das kann, allein schon weil ein Großteil meiner Arbeiten eine intensive Berührung mit dem größten und gleichzeitig mysteriösesten irdischen Wunder hatte – dem Meer. Im Meer kommunizieren die Lebewesen nicht mit Worten. Sie singen, spielen oder lassen ihre Absicht mit Körpersprache erkennen.
Ist es nicht das Meer, das einem schon beim Anblick seiner Oberfläche die Sprache verschlagen kann? Und doch ist es keine Stille, wenn auch eine Ruhe, die es in mir erzeugt. In der Wahrnehmung seiner Bewegung ist mir manchmal, als spürte ich den Puls der Erde in mir. Ich fühle mich wach und lebendig. Ich bekomme eine Ahnung davon, was Leben auf diesem Planeten bedeutet, ohne es in Worte fassen zu können. Der Eindruck bleibt als Gefühl und erhält seine Form im Bild. Das Gefühl ist eine Mischung aus Respekt, Demut und Freude. In dieser Empfindung verliert sich der Drang etwas erklären zu wollen.
Heute gebe ich den Feuerdrachen Raum auf Papier. Hier dürfen sie lebendig sein, ohne einem Lebewesen zu schaden. Lieber hier als dort. Kein Schatten von Vergangenheit, kein Lichtblick in die Zukunft. Einfach nur Dasein und Wirken mit der Fähigkeit zu verwandeln.
Es gibt nichts um sich fest zu halten – alles fließt.
Jetzt im Augenblick tanzen Drachen unter, in und auf dieser Insel. Ohne Ziel, ohne Wertung oder Emotion, ohne Ohne, ohne Mit. Weiches wird hart, Heißes wird kalt, Helles wird dunkel, Rotes wird schwarz und eines Tages wieder grün... Evolution mit revolutionärer Kraft.
Tagebuch Antje Bleck, 19.11.2021
Vulkanasche in fließende Farbe gestreut breitet sich rasch aus, verdunkelt sie stumpf und bedeckt sie, wie sie es auch mit
dem Land tut. Sie nimmt den Glanz und das Leuchten, hinterlässt aber dennoch ein feines silbernes Glitzern. Sie ist schwarzer
als das schwarze Papier, vermischt mit Rot verfärbt sie sich zu Kupfer.
An diesem aschegrauen Tag vollende ich das Bild „wounded earth“ und „Healing“.
Gold- und Silberpulver mit „Sprühregen“ dienten mir für den symbolischen Akt für Heilung.
Schwefeliger Drachenatem liegt in der Luft. Feiner Aschesand verhindert Photosynthese.
Tagebuch Antje Bleck, 14.11. 21
Klaffende Wunden
in der Haut der Erde
Drachenblut
fließt glühend
eilig verschlingend über
von Menschenhand gestaltetes Land
Mit feuriger Kralle greifen die Drachen nach Land
umhüllen es mit neuer Haut
Haut einer Echse gleich
geädert, schuppig, funkelnde Steine darin
Drachenblut wird Drachenhaut
Giftiges Feuerwerk fasziniert menschliche Augen
Des Drachen Atem
rhythmisch fauchend, stampfend,
grollend brodelnd in der Tiefe
aus der Ferne, geschlossenen Auges
erinnert es ich mich an
riesige Wellen an Klippen tosend
unerreichbare Orte
wo einst Wasser meine Bilder berührte
Seedrachen auf schwarzem Papier sich tummeln...
Es schüttelt sich die Erde,
erschüttert bebend mein Herz
bebt mich in wache Nächte hinein...
Phönix, wo bleibst du?
Es wird Zeit, dass Drachen sich nun schlafen legen,
Neuland zur Ruhe kommt
atmet, sich wandelt
Menschen wieder durchatmen,
traumlos tief schlafen,
Stille wieder hörbar wird,
Grün und Blau wieder leuchten...
Drachenzeit
Häutung
Neubeginn
Tagebuch Antje Bleck, 14.12.2021
„Ergreifend“, die Drachenkralle, steht für die Unerbittlichkeit der Lava und das Verschlingen von Landschaft, komme was wolle. Aus menschlicher Sicht ein Monster, das aber tatsächlich ohne böse Absicht oder Plan handelte, pures So-Sein, emotionslos und gnadenlos zerstörerisch. Besonders deshalb vermögen Feuerdrachen in Menschen starke Gefühle auszulösen, denn Machtlosigkeit und Verlust von Materie ist für sie ein schwer zu ertragender Zustand.
Tagebuch Antje Bleck, 23.12.21